Komplimente und die Gefahr der
tausend Fettnäpfchen
„Es macht mir wirklich viel Spaß mit dir zu reden“ Punkt. Alles gut. Ein höfliches *danke* – bis dahin alles ok. Warum ich das thematisiere? Komplimente sollte man viel öfter machen. Doch es kann, vor allem bei mir, passieren, dass sie falsch aufgefasst werden. Ich hatte mich gut mit einem Mann unterhalten und dachte, dass man das auch ruhig sagen darf. Doch als es raus war, überschlugen sich die Gedanken in Windeseile in meinem Kopf und die Angst, dass es doch falsch aufgefasst wurde, machte sich breit. Nach kurzem Zögern schob ich, ohne klar zu denken und meiner Angst folgend, noch hinterher: „Es ist ja auch immer besser sich eine eigene Meinung von jemandem zu machen und nicht auf das Gerede zu hören.“ Zack. Das wars mit dem Kompliment. Noch während ich das gesagt hatte, wusste ich, dass mich diese Situation nun sehr lange beschäftigen würde.
Willkommenes Gemauschel
Für das Jahr 2023 hatte ich mir vorgenommen etwas großzügiger mit Komplimenten zu sein. Nicht ständig, aber das sagen, was ehrlich gemeint ist. So habe ich beim Schwimmen einem Mädchen gesagt, dass ich sehr beeindruckt von ihrer Kraultechnik bin. Nicht, dass ich mich damit so super auskennen würde, ich selbst kraule in etwa so gut wie ein Maulwurf, den man ins Wasser geworfen hat - das habe ich auch schon mal anderweitig erwähnt. Aber ich fand wirklich, dass es toll aussah und sie hat sich sehr gefreut. Das nur als Beispiel. Momentan lerne ich neben der Arbeit auch durch mein neues Hobby viele Menschen kennen, die ich gar nicht oder nur vom Hörensagen kannte. Ich bin ein Freund von einer eigenen Meinung und immer sehr gespannt, wie nah mein Eindruck und das Gemauschel der anderen beieinander liegen. Möglich, dass es beruflich bedingt ist, aber die Neugierde hält mich davon ab, auf fremdes Gerede viel zu geben und es blindlinks hinzunehmen. Oftmals hat dies private Hintergründe, die in den meisten Fällen nichts über den Menschen generell sagen. Hier auf dem Dorf wird viel geredet. Ich möchte auch gar nicht wissen, was über mich erzählt wird. Oder will man das wissen? Ich bin mir nicht sicher. Allerdings könnte irgendwas falsch rüberkommen und man könnte es dann ändern oder geraderücken. Also wäre es doch gut, wenn mir jemand die Wahrheit sagt, auch wenn sie weh tut – vielleicht. Vielleicht auch nicht. Unrealistisch.
Mit Tiefgang in Rage
Ich habe vor einigen Wochen auch mal ein Kompliment von einer Frau bekommen, von der ich es nie erwartet hätte. So gut kennen wir uns eigentlich nicht. Irgendwann haben wir uns zufällig beim Ausgehen getroffen und haben rumphilosophiert. Über die Außenwirkung und die innere Wirklichkeit. Am nächsten morgen bekam ich eine Whatsapp: „Guten Morgen Romy, ich musste noch lange über unser interessantes Gespräch nachdenken. Ich muss dir mal sagen, dass jeder der dich länger als eine halbe Stunde kennt, weiß, dass du auf keinen Fall mit dem Strom schwimmst, sondern Tiefgang hast.“ Ok, sehr lieb, hätte ich nicht mit gerechnet. Ich habe mich sehr gefreut. Dann las ich weiter: „Allerdings bist du zu impulsiv. Damit bringst du mich manchmal in Rage. Schalte deinen Kopf mal ab … .“ Puh. Das war jetzt wieder nicht so nett. Relativiert das vorherige. Aber nachdem ich den ganzen Tag lang drüber nachgegrübelt hatte, musste ich mir eingestehen, dass sie Recht hat. Ich sollte mich manchmal zurücknehmen, gedanklich einen Schritt zurückgehen, bevor ich etwas sage, was ich nicht mehr zurücknehmen kann (siehe oben). Einfach zu sein, wie man ist, kann fatal sein und ist nicht immer die beste Idee.
Gedankenstrudel
Um nochmals auf die obige Situation zu kommen, bei der ich mal wieder mit Anlauf in ein riesiges Fettnäpfchen getreten bin: Ich habe zuhause lange darüber nachgedacht und mich noch am gleichen Abend entschuldigt. Doch auch das brachte meine Gedanken nicht zum Stillstand. Nach einer sehr unruhigen Nacht schrieb ich morgens nochmals – eine zugegebenermaßen sehr lange Whatsapp. Ich würde sogar behaupten, dass ich noch nie eine solche geschrieben habe. Die Reaktion war wenigstens ganz nett – zumindest hat er mich nicht beschimpft, was ja gar nicht schlecht ist. Aber wie konnte ein wahres, einfaches Kompliment so aus dem Ruder laufen? Eine Freundin in weiter Ferne hat mir den Kopf gewaschen. Ich solle nicht so lange darüber nachdenken. Falls er jetzt schlecht über mich denke, dann sei es so. Es gibt Menschen, die denken in Situationen wie diesen: Oh, dumm gelaufen. – Und dann legen sie das Thema ad acta. Ihnen ist egal, wer was wie denkt oder womöglich rumerzählt ...
Die gesellschaftlichen Korsette
... und dann gibt es Menschen wie mich: Denk, denk, denk … wäre es denn nicht schön, wenn jeder achtsam und respektvoll miteinander umgehen würde? Aber es wird immer Menschen geben, die über dich und deine Gedanken urteilen – ob zu recht oder unrecht. Man sollte sich nicht von den kleingeistigen Worten aus der Bahn werfen zu lassen. Das ist schwer – für manche mehr, für andere weniger. Wichtig ist es zu akzeptieren, dass man es nicht jedem Recht machen kann. Ich mag es nicht, wenn sich jemand wegen mir schlecht fühlt oder ich vielleicht versehentlich etwas sage, was andere denunziert. Aber mir ist auch klar, dass es auch schwer immer das Richtige zu tun. Das Leben besteht aus so vielen Widersprüchen, die uns irgendwie von der Gesellschaft aufgedrückt werden. Wir verbiegen uns, wir sollen uns immer bemühen alles richtig zu machen und den gesellschaftlichen Platz einnehmen, der vielleicht für uns vorbestimmt ist. Man soll immer fröhlich, kreativ, gebildet, strukturiert, sportlich etc. sein. Ich habe gelernt, dass man immer die beste Version seiner Selbst sein, es allen recht machen soll und niemandem zur Last fallen – mit seinen Problemen oder auch eben Verfehlungen, die man nun mal im Leben so macht. Immer schön kontrollieren, dass auch ja alles richtig gemacht wird. Doch vielleicht sollte man nicht versuchen dem allen gerecht zu werden, denn das kann man nicht schaffen, so gerne man es auch möchte. „Treib nicht mit der Strömung, sondern bleib Freistilschwimmer.“ Ein gewichtiger, aber wahrer Spruch. Einfach mal was für sich stehen lassen und nicht darüber nachdenken, was andere davon halten könnten – dann klappts auch mit den Komplimenten!