Die liebe Verwandtschaft
„Wir bekommen Besuch.“ – drei Worte, die erst einmal harmlos klingen und, da ich ein sehr geselliger Mensch bin, mich regelrecht erfreuen! Doch diese Worte waren nur ein Auszug einer Information, die ich an einem Mittwoch bekommen habe (ja, den Wochentag zu erwähnen ist außerordentlich wichtig!). Ich weiß noch wie heute als ich gut gelaunt in der Küche stand und nichtsahnend das gefühlt tausenste Bügelperlenbild meiner Kinder bügelte. Da kam mein Mann herein und er fragte mich, ob er nicht das Bügeln übernehmen solle. Warum? Meine Skepsis war geweckt. Wir unterhielten uns kurz über dieses und jenes. Und dann überbrachte mein holder Mann mir die Nachricht: „Habe ich dir eigentlich schon gesagt, dass wir am Samstag Besuch bekommen?“
Totale Entspannung
„Meine Familie kommt.“ Äh, bitte nein. Es wurde nicht erwähnt. Im Laufe des Gesprächs bzw. der panischen Diskussion meinerseits, stellte sich heraus, dass er alle meint: vier Geschwister, plus Partner, plus Kinder, plus einer Schwiegermutter eines Bruders, plus zwei Hunde … dafür habe ich also neben der Arbeit wieviel Zeit? Oh ha. Und was hat sich der Herr vorgestellt? Nachmittags zum Kuchen oder lieber abends zum Grillen? … Beides? … Ach, kein Problem … wo waren meine Koffer? Ich wollte doch schon lange meine Schwester besuchen. Okay, erste Panikattacke überstanden. Jetzt ging es an die Planung – wie viele Kuchen? Salate? Kann jemand was mitbringen? Meine Schwägerin bot an, einen riesigen Apfelkuchen zu backen. Gute Sache, so brauchte ich mich nur noch um süße Kleinigkeiten zu kümmern. Eine andere wollte einen Salat mit Paprika und Mais mitbringen. Perfekt. Musste ich NUR drei weitere Salate, Dips und Brot etc. zubereiten oder besorgen.
Pünktlichkeit ist eine Tugend
Und es stellte sich die Frage: Wo sollten wir alle unterbringen? Im Haus in unterschiedlichen Räumen? Doof. Draußen? Zu kalt. Die Idee meines Mannes: Draußen in der Partyecke. Windgeschützt: ja, warm: nein. Aber seine Familie – also seine Ideen. Nachdem ich dann Samstag also alles vorbereitet hatte, schaute ich mich in dem Schlachtfeld, vormals meiner Küche, um. Ok, noch aufräumen, mich schnell selbst halbwegs ansehnlich stylen … noch eine Stunde – das sollte doch hinzubekommen sein. Woher kam der plötzliche Optimismus? Doch dann klingelte es an der Tür: Das war doch nicht wahr, da standen wirklich schon die ersten Gäste vor der Tür. „Wir sind super durchgekommen, da brauchten wir die einkalkulierte Stunde länger wohl nicht.“ Ach was … zähneknirschend setzte ich ein strahlendes Lächeln auf, strich meine Kleidung glatt und ging mit den Fingern unauffällig durch das Vogelnest namens Haare auf meinem Kopf. Okay, wie bekäme ich sie an den Tisch ohne durch die Küche zu gehen … gar nicht. Super. Während mein Mann sie unterhielt, räumte ich grob die Küche auf, stellte alles erstmal in die Spülmaschine und schaute in den Spiegel – was ich da sah, war unmöglich zu retten. Das vom Stress rotleuchtende Gesicht konnte auch kein Makeup mehr vertuschen und der Mopp auf dem Kopf musste schnell zum Pferdeschwanz gebunden statt zu einer schönen Frisur hochgesteckt werden. Wenigstens konnte ich noch schnell saubere Kleidung anziehen. Da klingelte es auch schon wieder an der Tür. Nach und nach trudelten alle ein und es wurde langsam nach Kaffee und Kuchen gedürstet.
Ein Spaziergang mit dem Kuchen
Wo blieb meine Schwägerin mit dem Hauptkuchen? Ich ging erstmal raus und merke, wie kalt es an der Kuchentafel war. Alle saßen in ihren dicken Jacken auf ihren Plätzen. Oh man … Mein Handy klingelte: „Du, wir werden uns verspäten. Das Elektroauto muss doch noch an die Ladestation, aber wir sind nicht weit weg, wir lassen es stehen und gehen den Rest zu Fuß.“ Die Frage, ob man sie abholen solle, wurde verneint. Also liefen die sechs Personen lustig suchend durch den Ort – mit zwei großen Blechen Kuchen in der Hand, denn es war ausgerechnet die Schwägerin mit dem Hauptkuchen. Nun gut, irgendwann waren alle da und es konnte gegessen werden. Es war ein merkwürdiges Bild, alle in Jacken gehüllt bei schlechtem Wetter unter Dach draußen sitzend zu sehen.
Schön, dass ihr da wart!
Nach dem Kuchenessen also alles abdecken, Spülmaschine einräumen, ausräumen, Abendessen vorbereiten, Kinder verarzten und nebenbei Smalltalk führen, man will ja nicht unhöflich sein. Was machte Mann währenddessen? Er stand am Grill, warf etwas Kohle rein und unterhielt sich mit seinen Brüdern. Nach dem Grillen und dem Aufräumen war ich völlig fertig. Ich stellte die Flaschen so auf den Tisch – es kann sich jeder bedienen. Trotzdem weinten die Kinder wegen irgendwelcher Kleinigkeiten, stießen regelmäßig Getränke um, die Hunde mussten was zu trinken haben und fuselten mir permanent um die Füße. Als dann am Ende die letzten gegangen waren und zu mir sagten: „Das war so schön, das können wir bald wieder machen!“, da setzte ich ein strahlendes Lächeln auf, strich mir meine mittlerweile zerknautschte und durchgeschwitzte Kleidung glatt und ging mir mit den Fingern durchs Haar: „Schön, dass ihr da wart.“ – noch während die Tür ins Schloss fiel, holte ich mir einen Cocktail, streifte mir die Schuhe von den Füßen und setzte mich aufs Sofa. „Jungs, Papa bringt euch ins Bett, Mama ist beschäftigt und besucht ihre Schwester!“ Vielleicht nicht ganz, aber ganz bestimmt wäre der Abend auch bei ihr mit einem Cocktail geendet. Wie schön! Und die Moral von der Geschicht: Außerplanmäßige Familienfeiern braucht man – oder eben nicht!